Landwirtschaft 4.0? Senden fehlgeschlagen.

Ein Beitrag von Rahel Estermann

Blumige Wiesen, die Getreidehalme beugen sich im sanften Wind, Glockengebimmel. Heile Welt im Sempacherseegebiet. Die Kuh blickt mich erstaunt an, während sie gerade ihre letzte Mahlzeit wiederkäut. Ich blicke erstaunt zurück: Wie kann es sein, dass wir, benebelt vom heile-Welt-Alpabzug-Romantik-Bild, kaum merken, dass die Landwirtschaft eine derjenigen Branchen ist, die technologisch gerade einen rasanten Wandel durchmachen?

Wir brauchen die Bäuerinnen und Bauern. Sie sind ein wichtiger Schlüssel für einen nachhaltig bewirtschafteten Planeten und die Pflege der natürlichen Ressourcen. Sind unsere Bäuerinnen und Bauern auf die Zukunft vorbereitet? Oder treffender gefragt: Auf das Jetzt, wenn es darum geht, die technologischen Möglichkeiten zu nutzen: Für eine ökologischere Landwirtschaft, weil intelligentere Systeme Pflanzenschutzmittel schonender spritzen; für mehr regionale Wertschöpfung, weil die Produktionskreisläufe lokal organisiert sind; für mehr Selbstbestimmung, weil die Betriebe ihre Daten selber kontrollieren und nutzen können, um die Produktion effizienter zu machen (siehe auch die Charta zur Digitalisierung der Land- und Ernährungswirtschaft). Dies sind nur drei Beispiele, wie Technologie die Luzerner Landwirtschaft zum Positiven verändern könnte. Frag mal deine Bäuerin, deinen Bauern des Vertrauens: Sind sie darauf vorbereitet?

Ich gehe davon aus, die Antworten würden sehr unterschiedlich ausfallen. Wie immer: Es gibt die technologieaffine Avantgarde. Und den grossen Rest. Auf lange Sicht wird sich kein Bauer der technologischen Entwicklung verweigern können. Und es ist die Selbstverantwortung der Berufsleute, ihr Handwerk weiterzuentwickeln. Sie organisieren sich in Branchenverbänden, prägen ihre Ausbildung mit, suchen die Kooperation mit der Wissenschaft. Ein vorausschauender Kanton würde dies antizipieren und den Bauernstand in dieser Transformation unterstützen. Weil die lokale Landwirtschaft dadurch ökologischer, die regionale Wertschöpfung besser und die Bäuerinnen selbstbestimmter werden. Leider ist der Kanton Luzern hierbei nicht vorausschauend.

Die „Strategie Agrarpolitik Kanton Luzern“ von 2018 erwähnt die Digitalisierung gerade mal in einem kurzen Abschnitt der Umfeld-Analyse. Massnahmen schlägt der Bericht zuhauf vor, 39 – keine davon bezieht sich auf „Chancen der Digitalisierung“. Ganz anders der Kanton Waadt. Dieser plant gemäss seiner Digitalstrategie folgende Massnahme: „Die Waadtländer Landwirtschaft auf Veränderungen (…) im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Agrarsektors vorbereiten“.

Wieso antizipiert der Kanton Waadt die Digitalisierung in der Landwirtschaft viel stärker als Luzern? Die einfache Antwort lautet: Seine Digitalstrategie hat einen umfassenden Anspruch. Sie beschränkt sich nicht auf die Digitalisierung der verwaltungsinternen Prozesse – E-Government -, sondern öffnet den Blick auf Entwicklungen in ganz verschiedenen Bereichen, in denen Digitalisierung eine Rolle spielt, beispielsweise Mobilität, Bildung, Wirtschaft. Den Themen liegen fünf Perspektiven quer, die das Gerüst der Strategie sind: Daten, Infrastrukturen und Sicherheit, Begleitung von Menschen, Begleitung von Unternehmen und Governance. Eine Auswahl weiterer Ideen aus der Strategie: digitale Zugänglichkeit von kantonalen Museen und Bibliotheken, die Polizei für die Anliegen der digitalen Gesellschaft schulen, Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Online-Medien schulen, digitale Kompetenzen in RAV-Weiterbildungen stärken, eine Austauschplattform mit Unternehmen zur Bekämpfung von Internetkriminalität, attraktive kantonale Arbeitsbedingungen für Digital Natives, eine öffentliche Datenpolitik einführen – und einen für alle zugänglichen Service public fördern, einschliesslich der nicht-digitalen Form. Eine Digitalstrategie also, die bewusst sagt: Die Verwaltungsdienstleistungen müssen auch in nicht digitaler Form zugänglich bleiben.

Was will der Kanton Luzern? Nun, wie wir wissen, hat er sich erst gerade entschlossen, eine „Digitalisierungsstrategie“ zu erarbeiten. Während sie auf die institutionellen Träger eingeht, bleibt die Motion schwammig über die thematische Breite, welche diese Strategie fassen soll. Immerhin fordert sie eine zentrale Koordinationsstelle (Chief Digital Officer) und eine regelmässige Berichterstattung über die Fortschritte. In seinem ursprünglichen „Gegenvorschlag“ postulierte der Kanton, dass lediglich die E-Government-Strategie weiterentwickelt werden soll, man sich aber weiterhin an den Zielen der schweizerischen E-Government-Strategie orientieren möchte: Kunden- und dienstleistungsorientierte Verwaltung, Prozessoptimierung, Voraussetzungen schaffen (organisatorisch, finanziell, rechtlich, technisch). Von den Menschen im Kanton keine Rede.

Die Diskrepanz zum Waadtländer Vorschlag ist frappant. Nun mag man einwenden, dass die Romands halt über ein anderes, viel interventionistischeres Staatsverständnis verfügten, und dass zu viel staatliche Einmischung wenig Sinn mache. Der Blick auf andere Kantone zeigt aber, dass der Waadtländer Ansatz kein Ausreisser ist, sondern viele andere dieselbe Richtung einschlagen: Der Kanton Aargau will seine Personalstrategie aus der Digitalstrategie ableiten; Graubünden fördert Unternehmen und öffentliche Institutionen, welche die digitale Transformation unterstützen; Glarus installiert ein „Sounding Board“ und bezieht dabei die Jugend und Avenir Suisse ein; der Kanton Genf erarbeitete seine Strategie partizipativ, er will damit auch neue Geschäftsfelder und -modelle in der Wirtschaft antizipieren; sogar die Konferenz der Kantonsregierungen empfiehlt in ihren Leitlinien: Datenhoheit und Aufklärung der Bevölkerung sowie deren Partizipation in der Politikgestaltung sind erstrebenswert. Der Bund hat schon seit einigen Jahren eine umfassende „Digitale Strategie“ mit einem Aktionsplan für verschiedene Themenbereiche. Und über die Schweiz hinaus nur ein Beispiel: Die Stadt Wien führte mit der „Digitalen Agenda“ eine Partizipationsprojekt durch, das 1.8 Millionen Rückmeldungen generierte.

Nun ja – im ganzen Kanton gibt es nicht mal so viele Menschen. Und Schweine. Zusammengezählt. Eine Schuhnummer kleiner ist also völlig in Ordnung. Aber die Luzerner Digitalstrategie soll kein verwaltungsinternes Projekt bleiben. Sie soll einem vernetzenden Ansatz folgen und Ziele und Massnahmen im Zusammenspiel mit privaten und öffentlichen Akteurinnen und Organisationen entwickeln. Sie soll die Rolle von Daten und digitalen Prozessen, ihre Nutzung und ihren Schutz beleuchten, weil dies neue Geschäftsmodelle ermöglicht und gleichzeitig unsere persönlichen Grundrechte betritt. Sie soll wirtschaftliche und soziodemografische Entwicklungen antizipieren und sie prägen, weil das die Raumplanung und die kantonalen Steuereinnahmen beeinflusst. Sie soll die Menschen und Unternehmen im Kanton Luzern – zum Beispiel der Bäuerin oder dem Bauern deines Vertrauens – unterstützen, damit diese sich den technologischen Wandel zunutze machen können.

Deshalb habe ich im Kantonsrat eine umfassende Digitalstrategie für den Kanton Luzern gefordert.

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